Am 1. Januar 2021 nahm das Elsaß neue Gestalt an. Mit der letzten Regionalreform in Frankreich war die Region “Alsace” am 1. Januar 2016 in der größeren Region “Grand Est” aufgegangen, der auch die ehemaligen Regionen Lothringen und Champagne-Ardennes angehören. Auf Initiative von Präsident François Hollande war damals die Zahl der Regionen Frankreichs von 22 auf 13 verringert worden. Im Elsaß kam dieser Schritt nie gut an. Noch immer sprechen sich 68% der Elsässer dagegen aus, Teil dieser großen Ostregion zu sein (IFOP-Umfrage Januar 2020). Aber es gelang ihnen, für ihren Teil Frankreichs eine einzigartige Lösung zu finden: zugleich Teil des “Grand Est” zu sein und wieder “Alsace” zu werden.
Denn am 1.1.2021 trat die “Loi Alsace”, das Elsaß-Gesetz, in Kraft, das die “Collectivité européenne d’Alsace” schafft. Darin werden die beiden Départements Bas-Rhin und Haut-Rhin fusioniert. Bei den bevorstehenden Départementswahlen, wahrscheinlich im Juni 2021, wird dann eine gemeinsame “Assemblée d’Alsace“, eine elsässiche ‘Versammlung, gewählt, die an Stelle der beiden Départements-Räte treten wird, die bis dahin die parlamentarische Vertretung der neuen Gebietskörperschaft bilden. Die künftige Versammlung wird aus 80 Abgeordneten bestehen, je ein Mann und eine Frau aus jedem der 40 Kantone der beiden bisherigen Départements. Außerdem wird ein “Conseil de développement alsacien“, ein elsässischer Entwicklungsrat gebildet, in den Berufs-, Wirtschafts- und Sozialverbände, Organisationen der Wissenschaft und der Erziehung, der Kultur und des Umweltschutzes jeweils ihre Vertreter entsenden. Ziel des Gesetzes ist es, wieder eine “Handlungsfähigkeit auf elsässischer Ebene” zu schaffen, ohne die Zugehörigkeit des Elsaß zur neuen Großregion aufzugeben. Am 2. Januar haben die beiden Départements-Räte in gemeinsamer Sitzung in Colmar den bisherigen Präsidenten des Département-Rats von Bas Rhin, Frédéric Bierry, zum Präsidenten der neuen Gebietskörperschaft gewählt.
Das neue Elsaß übernimmt aber nicht nur die Kompetenzen der beiden Départements, die als Verwaltungseinheiten des Staats bestehen bleiben, sondern erhält zusätzliche Befugnisse, die vor allem für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Bedeutung sind. Denn die neue “Gemeinschaft” erhält vor allem die Funktion, die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu koordinieren. Auf dem Gebiet der regionalen Kultur und Sprache erhält sie die Möglichkeit, die Zweisprachigkeit zu fördern, und zwar ausdrücklich mit dem Hochdeutschen und seinen lokalen Dialektformen. Außerdem übernimmt sie Kompetenzen des Zentralstaats auf den Gebieten des Tourismus, der Infrastruktur wie etwa des Straßennetzes, und sie kann nationalen oder regionalen Organisationen der Zivilgesellschaft die Bildung von Unterorgansiationen auf elsässischer Ebene erlauben. Und auch auf den Kfz-Kennzeichen werden die Elsässer ihr eigenes Symbol zeigen können.
Ungeklärt ist noch die Frage, wo die neue Versammlung ihren Sitz nehmen wird. Das vorläufige Regierungsdekret sieht dafür zunächst Straßburg vor. Die erste wahl des Präsidenten fand in Colmar statt. Aber die endgültige Entscheidung wird der im Juni zu wählenden neuen Versammlung selbst obliegen. Als Kompromiß wird ein ständiger Sitz in Straßburg und häufige Plenarsitzungen in Colmar diskutiert. Das erinnert ein wenig an die Hybrid-Konstruktion für das Europäische Parlament. Ebenfalls ungeklärt ist die Frage, ob der künftige Präsident oder die Präsidentin der “Collectivité” für die vollen sechs Jahre Amtszeit der Versammlung gewählt wird, oder ob sich Ober- und Unterelsässer die Präsidentschaft jeweils für drei Jahre teilen. Postenspielchen, sicher, aber von großer Symbolkraft.
Nun wird alles an den Beteiligten liegen, inwieweit sie die neuen Möglichkeiten nutzen, die es in dieser Form in Frankreich bisher nicht gibt. Für die betroffenen deutschen Landesregierungen in Mainz und Stuttgart ergeben sich daraus möglichweise auch neue Perspektiven unmittelbarer Zusammenarbeit, die es auszuloten gilt.
Quelle: france.tv, FR 3 Grand Est, 23.9.2020: “Collectivité européenne d’Alsace: ce que l’on sait à 100 jours de la naissance de ce “super-département” und 2.1.2021: “La CEA est officiellment installée, elle choisit Frédéric Bierry comme président” . DP
Eine wichtige information, die wir ohne die DFG nicht so einfach erhalten hätten!