Grenzöffnung Eckertal/Stapelburg am Samstag, 11.11.1989

Grenzöffnung Eckertal/Stapelburg am Samstag, 11.11.1989

(Katharina Killait)

Das große historische Ereignis haben wir zunächst verpasst. Erst als wir auf die Autobahn A2 einbogen, wurde uns bewusst, dass etwas Unglaubliches geschehen war: Trabi an Trabi kam uns entgegen, eine nicht enden wollende Schlange von Leuten, die winkten und hupten. Es war unbeschreiblich und es gibt keine Worte für solche Stunden.

Wir beschlossen sofort, uns in Richtung Osten auf den Weg zu machen. Von Braunlage wanderten wir nach Elend und passierten den ersten Grenzzaun, dem in einiger Entfernung der zweite folgte. Zum ersten Mal wurde mir die Unüberwindlichkeit dieser grausamen Grenze bewusst. Am Grenzgraben standen verunsicherte Polizisten. Was machen, mit dem Strom von Leuten, der in die DDR will? Damit alles seine Richtigkeit hatte, bekamen wir einen Stempel in unseren Pass, was später in den USA ein Nachspiel haben sollte, denn er stammte aus einem „kommunistischen“ Land.

Von Elend aus nahmen wir uns ein Taxi zurück nach dem „Westen“. Für den Fahrer bildete das eine Herausforderung, denn er hatte keine Ahnung von dem, was ihn auf der anderen Seite erwartete. Er kannte weder Ortsnamen noch Straßen, er war erstmals im – doch so nahe gelegenen – Ausland.

Kurze Zeit später fuhren wir wieder gen Osten. Auf dem Rückweg stauten sich die Wagen, im Schritttempo näherten wir uns Ilsenburg. Plötzlich klopfte jemand gegen die Fensterscheibe und meinte: „Kommen Sie doch zum Abendessen zu uns.“ So verließen wir die Schlange und lernten  eine nette Familie kennen, die große Hoffnung in eine gute Zukunft setzte.

 

(Hans Kolmsee)

Als die Grenze zur DDR fiel, war ich am weitesten von zu Hause auf der Schwäbischen Alb stationiert. Am Sonntag, den 12. November, erhielt ich einen Anruf meiner Schwiegermutter – sie lebte in Winnigstedt – die mir hochaufgeregt mitteilte, daß sie im Nachbarort (Hessen) auf DDR – Seite in der Gaststätte „Weinschänke“ sei, Ernst Albrecht, der damalige Ministerpräsident Niedersachsens, sei auch da, die Grenze sei offen. Die Details habe ich dann aus den Medien erfahren. Erst im Januar 1990 konnte ich die Nachbarorte, Halberstadt und Wernigerode besuchen.

 

(Ulrich Bormann)

In Oker geboren und aufgewachsen, lebte ich schon längere Zeit in Düsseldorf. Am 17.11.1989 besuchte ich meine Eltern in Bad Harzburg, Ortsteil Westerode. Die überraschende Grenzöffnung im nur 6 Kilometer entfernten Eckertal/Stapelburg war in aller Munde und es kursierten bereits unzählige Anekdoten. Am Samstag, 18.11.1989 musste ich meine Neugierde befriedigen und wollte sehen, ob ich meine Vettern in Wernigerode besuchen konnte. Zu der Zeit war es Wessis nicht erlaubt, ohne Visum in die noch DDR einzureisen. Mein Glück war, dass ich ein Dauervisum, aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit, für die DDR hatte. Man kontrollierte meinen Pass am Grenzübertritt und ließ mich passieren. Über schlechte Landstraßen ging es bis Wernigerode, wo ich von meinen Verwandten überrascht und freundlich empfangen wurde. Auf der gesamten Wegstrecke bis zur Grenze kamen mir bereits hunderte von diesen berühmten Zweitaktern, den „Trabis“ (Trabanten) fahrend entgegen. Nach der Grenze änderte sich das Bild. Ich fuhr an gefühlten 30 Kilometern stehenden Automobilien vorbei und machte mir bereits Sorge, dass ich eine lange Rückfahrt in Kauf zu nehmen hatte. Dem war allerdings abends um 22 Uhr nicht mehr der Fall.

 

Noch ist die Grenze zu

 

15 Uhr, die Menschen werden mehr. Sollte am 11.11.1989 wirklich Geschichte geschrieben werden?

 

Einige Minuten später. Was denkt der junge Grenzsoldat, Links im Bild?

 

Fußgänger durchquerten das 500 Meter breite Sperrgebiet. Menschen von beiden Seiten fielen sich in die Arme und weinten vor Freude. Metallplatten wurden vom Grenzzaum abgeschraubt, ein Graben mit Erde zugeschoben. Die alte Eckerbrücke wurde noch nicht freigegeben. Sie war teilweise verrottet und bei großer Belastung einsturzgefährdet. Koordiniert vom Landkreis machten Bundesgrenzschutz, Technisches Hilfswerk und örtliche Feuerwehren die seit 40 Jahren nicht mehr befahrene Eckerbrücke innerhalb von wenigen Stunden in einer nächtlichen Aktion mittels dicker Stahlträger wieder passierbar.

Die wiederhergestellte Brücke wurde intensiv genutzt

 

In Bad Harzburg gibt es Begrüßungsgeld im Rathaus. Die Angestellten leisten schier unglaubliches. Innerhalb weniger Stunden sollen ca. 300 Millionen D-Mark ausgezahlt worden sein. Ständig wurde das eingenommene Geld von den geöffneten Geschäften zurück ins Rathaus gebracht. Die begehrten Kassettenrecorder waren bereits nach 2 Stunden ausverkauft.

Willi Ahrens, ein Zeitzeuge aus Ilsenburg, landete nach den Einkäufen mit seiner Frau in der heutigen Gaststätte Hageroths (1989 trug sie den Namen „Suhle“). Eine Braunschweiger Ehepaar, das in Bad Harzburg eine Ferienwohnung hatte, zeigte sich freigiebig und spendierte Speis und Trank. Willi, seit 2020 DFG Mitglied und seine Frau revanchierten sich später, indem sie das Ehepaar zu sich nach Ilsenburg einluden.

 

Der damalige Bürgermeister Bad Harburgs, Klaus Homann, wohnhaft im Ortsteil Bündheim, half in der Eckertaler Gaststube „Eckerkrug“ und schenkte kräftig Freibier ein und aus. Für die nur wenige Meter entfernt wohnenden Stapelburger ein unvergesslicher Tag. Zwischen Eckertal und Stapelburg verlief vorher die Staatsgrenze.

 

Der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen Ernst Albrecht, Vater der heutigen EU-Präsidentin Ursula von der Leyen, war der erste nicht lokale Politiker vor Ort. Nachdem er in Gummistiefeln den Fluss Ecker durchquerte (ohne Passagierschein) wurde er im Stapelburger Kulturhaus von Einwohnern umringt. Nach einem kurzen Gespräch mit ihm bekam auch Willi Ahrens sein gewünschtes Autogramm. Ob West oder Ost, alle waren an diesem Tag glücklich, dass der Harz nach 40jähriger Teilung wieder vereint war.

 

Das heutige Grenzdenkmal steht direkt auf dem früheren Todesstreifen.

2 Comments

  1. LUCAS

    Une page d’histoire qui n’est si lointaine que ça dans nos mémoires je me souviens encore des premiers commentaires de la délégation de Port-Louis qui s’est rendue à Bad Harzburg quelques temps après afin de rendre visite aux amis du jumelage de la région du Harz.

    1. Killait, Katharina

      Nous sommes très reconnaissants que vous, nos amis de Port-Louis, partagent les impressions grandioses des jours, semaines et mois historiques et tellement importants personellement, avec nous. Merci.

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